Petra Hempel zur Ausstellungseröffnung

Liebe Gäste,

die Musik hat uns eine Vorstellung geboten wie es hier begann, als sich die Eiszeit zurückgezogen hatte …

Hier bei Fischerhude weht ein herrlicher Seewind durchs Urstromtal der Weser und zaust das Haar, biegt die Halme und flüstert von Weite. Dünen waren hier einst, wo heute dichtes Grün regiert und überall bahnte sich Wasser seinen Weg. Das ist schon lange her. Doch so bescheiden das flache Land, so kostbar die von flüssigem Gold durchfluteten Moddergräben, wenn die Abendsonne ihnen ihre Dunkelheit nimmt.
Hermann Angermeyer, der erfolgreiche Porträtist und Genremaler war aus Düsseldorf gekommen, entdeckte hier in Fischerhude das Goldlicht und blieb als begeisterter Landschafter. Wie hängte er seine leuchtenden Kandelaber in dürres Gezweig oder fing die Glut des Himmels auf dem Wasser ein?

Ulrich Modersohn sagte einmal:
„Die unberührte Natur ist etwas Wunderbares.
Sie ist das Feinste vom Feinen.
Der in ihr zu lesen vermag, findet die einzige Wahrheit,
die Wahrheit des Sterbens und Lebens.“
Er bezeichnete sich als einen Romantiker, der er noch sei. Da war er ein junger Bursche und wusste nicht, dass ihm nur ein kurzes Leben beschieden war.

Eine unberührte Natur gibt es doch gar nicht mehr!
Doch, denn wenn die untergehende Sonne alle Birkenstämme orange färbt, berührt sie, die Sonne, uns mit der ganzen Erhabenheit des Natürlichen. Und dafür finden Sie oben Beispiele, weil Künstler Sucher nach solchen Wahrheiten sind.

Otto Modersohn, Ulrichs Vater, war im Herzen ein Naturforscher. Wenn er die Landschaft beobachtete, nahm er sich selbst zurück. Er besaß einen Ziegenkarren mit Öfchen, in dem er manches Bild schuf, während kein Bauer seinen Hund rausgelassen hätte. Es waren Stunden großer Einsamkeit draußen in einer Landschaft, die sich vor ihm inszenierte mit Wolkenbergen und Überschwämmungen oder Eis und Schnee – letzten Schlittschuhläufern, wenn es früh schon dunkel wird. Übergängen von Tag und Traum.

Ist es die Stimmung des Künstlers oder der Landschaft, die sich in den Bildern spiegelt? Sicher legt der Künstler sein Augenmerk in eine Form, die ihn fasziniert, mag es eine Skizze oder ein Gemälde sein. Immer bleibt er im Bild enthalten, doch kann er sein Motiv betrachten und dann malen, er kann auch über ein Sujet nachdenken und es in der Natur suchen gehen.
Werner Zöhl malte in der Regel nicht vor der Natur.
Prischilla Metschers Triptichon werden Sie nicht als Ansicht aus einer Ameisenperspektive vermuten, sondern aus der Atmosphäre der Farben den Klang des Ortes, der da gemeint ist, erkennen. Bitte weiten Sie Ihr Flussverständnis in dieser Ausstellung, denn es werden sich Ihnen zahllose Sehweisen eröffnen!

Das Quellgebiet der Wümme ist oben von de Bruycker zu sehen, aber woher stammen die Flüsse?
Sie sind allesamt Götterkinder des Titanenpaares Okeanos und Thetis. Daher trugen sie Götternamen und sprach man von Flussgöttern. Wer sagt, dass „Wümme“ (aus dem Sumpf) nicht göttlich ist?

500 n. Chr. wurde in Ravenna ein bekanntes Kuppelmosaik geschaffen, auf dem Jesus Christus, Johannes der Täufer und der Flussgott Jordan gleichgroß nebeneinander stehen – wie eben drei Männer an einem Fluss. Der Flussgott trägt ein Füllhorn. Aber verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, trägt nicht jeder von uns sein Füllhorn an einen Fluss und überantwortet Sorgen gerne dem Lauf des Wassers?
Wie gerne stehen wir auf einer Brücke und folgen mit den Blicken dem Fluss als löse er Schweres auf und triebe es einfach mit sich.

Schon Adam forderte den Fluss und all sein Getier auf, mit zu trauern über die menschliche Sündentat. In der Ausstellung werden Sie vom Ergebnis begradigter Flüsse und ihrer Kreatur eine Grafik der Rotenburgerkünstlerin Helga Groll finden. Sie hat nicht an Adam und Eva gedacht, sondern an den Fluss, an dem sie wohnt.

Chiffren aus der Textur eines Flusses sind nicht immer so klar umrissen und doch kann man ihnen zu folgen versuchen, wenn man sich auf sie einlässt. Spuren im Wind, Kratzer im Eis, sie alle erzählen von Auseinandersetzungen mit dem Thema: Mensch und Fluss!

Im Fluss versengte einst der Teufel jenen Stein, auf dem die Sünden der Menschheit verzeichnet waren, auf das wir alle des Teufels gewesen wären, wenn nicht Christus im Jordan die Taufe empfangen hätte und das göttliche Licht die Sündenschuld gelöscht hätte! Das Licht des Himmels und das Wasser sind in ihrer Kommunikation ein nie versiegender Quell für den menschlichen Geist.

Die kleinen biblischen Geschichten sind nicht die Vorbereitung auf religiöse Gemälde. Die Natur selbst bildet den Ursprung für diese Ausstellung. Das Thema Wümme und Fluss, Wasser und Kultur ist verzweigt wie ein Delta voller Entdeckungen. Die Wümme grüßt die Wörpe, die Beeke, die Wiedau läuft über die Wiesen, treibt das Scheeßeler Mühlenrad und die Jahreszeiten nimmermüde voran. Klassisches und Modernes hängen Seite an Seite.

Tauchen Sie ein, tauchen Sie unter und fühlen Sie sich beim Auftauchen erfrischend inspiriert!

Gesang der Geister über den Wassern
Des Menschen Seele

Gleicht dem Wasser:

Vom Himmel kommt es,
        Zum Himmel steigt es

Und wieder nieder

Zur Erde muss es –

Ewig wechselnd.
Strömt von der hohen,

steilen Felswand

der reine Strahl,

Dann stäubt er lieblich

In Wolkenwellen

Zum glatten Fels,

Und leicht empfangen,

Wallt er verschleiernd,

Leis rauschend

Zur Tiefe nieder.
Ragen Klippen

Dem Sturz entgegen,

Schäumt er unmutig

Stufenweise

Zum Abgrund.
Im flachen Bette

Schleicht er
das Wiesental hin,

Und in dem glatten See

Weiden ihr Antlitz

Alle Gestirne.
Wind ist der Welle

Lieblicher Buhler;

Wind mischt
vom Grund aus

Schäumende Wogen.
Seele des Menschen,

Wie gleichst du
dem Wasser!

Schicksal des Menschen,

Wie gleichst du dem Wind!

J.W. von Goethe

Kunstverein Fischerhude

in Buthmanns Hof e.V

Im Krummen Ort 2

28870 Fischerhude