Petra Hempel zur Ausstellungseröffnung

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!

Werner Zöhl ist sicher den meisten von Ihnen noch gegenwärtig, traf man ihn doch hier und da – hochgewachsen und mit einem liebevollen Lächeln für Mensch und Natur.

1926 wurde er in Stendal, einer alten Hansestadt an der Elbe, geboren. Am Winckelmann-Gymnasium hatte er das große Glück, von Prof. Erwin Hahs in Kunst unterrichtet zu werden.

Ein paar Worte zu diesem ungewöhnlichen Lehrer:
Professor Hahs war einer der hervorragenden Persönlichkeiten der Kunstschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale gewesen. Er war frühzeitig mit dem deutschen Expressionismus bekannt geworden und pflegte u.a. Kontakt mit dem Architekten Walter Gropius. Die Ideen des Bauhauses waren wichtig für Hahs, doch kopierte er sie in Halle nicht einfach. Neben den geometrisch malerischen Formen gab es hier die „freien Formen“ und figürliche Elemente. Von Hahs stammt der Satz: „Die Form ist weder leihbar, noch wird sie diktiert. Sie ist eine Summe von Betrachtungen, die sich aus dem Inhalt, dem Material, aus der Ursache und dem Zweck der Aufgaben und aus dem Wesen des Gestaltenden ergibt.“
1933 wurde Hahs von den Nazis als Kunstprofessor in Halle entlassen. Ein Jahr später diffamierte man seine künstlerischen Werke als entartet, entfernte sie aus öffentlichen Räumen und zerstörte sie. Fast zehn Jahre später kam er als Lehrer ans Winckelmann-Gymnasium in Stendal.

Damit begann die große Begeisterung des jungen Werner Zöhl für seinen Lehrer und alles, was der anzuregen verstand wie kein anderer. Hahs verfügte über ein breites Wissen auf allen Gebieten der Kunst, der Kultur, Religion, Politik und Philosophie. Er wagte es damals trotz seiner schwierigen Situation, ein paar Schüler in Stendal auch privat noch zu unterrichten und Werner Zöhl gehörte zu ihnen.
Der 1887 geborene Hahs verstarb 1970 in Zernsdorf im Mecklenburgischen. Eine lebenslängliche Freundschaft, die den Krieg überlebt hatte und die Mauer zwischen Ost und West ein wenig durchlässiger gemacht hatte, endete.

Kehren wir zurück zu Werner Zöhl:
Von 1942 bis 1944 währte also eine Art Kunststudium im Zeitraffer auf der Schulbank, denn schon rief man die Gymnasiasten zu den Schützengräben statt zu Lehre und Studium. Werner Zöhl geriet in britische Kriegsgefangenschaft und ging nach seiner Entlassung nach Bremen. Im Rucksack trug er einige Grafiken und kleine Bilder, aber Nachkriegsdeutschland glaubte zunächst, tüchtige Maurer zu brauchen, ehe es bereit war, Künstler sich ansiedeln zu lassen. Der junge Zöhl war flexibel und mauerte fleißig, aber er ließ die Kunst nicht mehr aus seinem Leben fort. Als er 1951 einen Preis für „Junge Kunst in Niedersachsen“ erhielt, ermutigte ihn das sehr. Er setzte sich intensiv mit Feininger und Klee auseinander und experimentierte in verschiedenen Techniken.
Wir haben für Sie im Giebel eine Reihe früher Gemälde ausgestellt, an denen Sie einige Wandlungen erkennen können. Spannend sind auch die Grafiken, die in den Vitrinen ausliegen.

Werner Zöhl war kein abstrakter Künstler, wenn es auch Beispiele dafür von ihm gibt, und er malte nicht vor der Natur, denn er bildete sie nicht ab.
Gegenstände sind wie Worte, sie stehen Begriffen nahe. Zöhl blieb stets malerisch, denn durch Farbigkeit schuf er jene Atmosphäre, die den Bildinhalt weit subtiler transportiert. Er bediente sich unglaublicher Facetten des Lichtes, das den Farben ihre Lebendigkeit verleiht. Das oft geometrische Gefüge ist nicht statisch zu verstehen, es sind Licht- und Schattenbahnen, die sich über Lebewesen und Dinge gleichermaßen ziehen. Darin spiegelt sich gewissermaßen ein irdisches Vereintsein. Das Werden und Vergehen ist so dicht verknüpft, dass sich in einem einzigen Bild Schattierungen vieler Tage und Nächte – wie aus einem Karteikasten hervorblättern. So ein vielfältiger Bild-Augenblick lässt sich weder zeitlich noch räumlich oder situativ festlegen. Hierin könnte man die Abstraktion Zöhls ausmachen: Er setzte seine Grenzen der Wahrnehmung neu.
Sein alter Lehrer sagte einmal bei der Arbeit zu einem Altarbild: „Solange dieses Kreuz sich in mir selber nicht erfüllt – kann ich es nicht erfühlen, kann ich es nicht erkennen, kann ich es nicht gestalten. Es brauchen doch nicht mehr als zwei Striche zu sein, ein senkrechter und ein waagerechter – das ist sehr schwer.“
Sehen und sich vorstellen wie es sein müsste genügen nicht. Erst die innerliche Umsetzung schafft die notwendige Voraussetzung für eine Bild-Wirklichkeit – die sich Verfremdung leisten kann und dennoch überzeugt!
Während Erwin Hahs in der DDR blieb und rehabilitiert wurde, war er eine Persönlichkeit geblieben, die sich nicht vereinnahmen ließ. Auch in der DDR passte er sich politisch-ideologisch nicht an. Wieder wurden Werke von ihm aus dem öffentlichen Raum verbannt und zerstört. Erst nach seinem Tod fanden Museen den Mut seine Bilder zu kaufen. Verglichen damit lebte Werner Zöhl ein Leben absoluten Friedens. Nicht, dass es da nichts Schweres gab, doch künstlerisch erfuhr er schon bald nach dem Krieg Anerkennung und öffentliches Interesse. Er konnte in großen norddeutschen Städten ausstellen, gab Interviews in Funk und Fernsehen und unterrichtete.
Werner Zöhl war ein Familienmensch, der allerdings ein gewaltiges malerisches Werk geschaffen hat. Es kam ihm nicht darauf an, damit berühmt zu werden und zu verkaufen. Er wollte malen!
Wenn auch Stendal ihn im Internet noch nicht als „Sohn der Stadt“ würdigt, erfreut sich Fischerhude um so mehr seines Werner Zöhls. Seit 1964 wohnte er in der Surheide.
Seine Künstlerfreunde Hans Meyboden und Erhart Mitzlaff, deren Einfluss noch in einigen frühen Werken anklang, unterstützten ihn einst lebhaft auf seinem malerischen Weg. Doch gibt es nicht zwei Fischerhuder, die einander gleichen und Zöhl suchte und fand bald schon seinen eigenen Stil und der trägt vielleicht mehr aus einer Zeit des Friedens in sich, als man ahnt.
Traugott Koch schrieb in dem Buch (Blumenwald und Vogelbaum), über das Werk von Werner Zöhl: „Aber darin, dass die Natur in sich Sinn und Stimmigkeit hat und mithin nicht sinnlos und bloßes Material ist, unterscheiden sich die Bilder Zöhls grundlegend tief von den meisten Zeitgenossen! … Und so tun sie unseren Augen gut.“

Reisen führten den Künstler gen Osten, nach Polen und in die Sowjetunion, da war z.B. die berühmte Russlandreise einer Fischerhuder Delegation aus Künstlern.
Zöhls besuchten Frankreich. In der Provence fanden sie ein kleines Sommerdomizil, das der Palette ganz eigene Stimmungen verlieh.
In der Hauptetage sind einige dieser südlichen Motive ganz hinten an der Wand.
Sie bereisten Griechenland, die USA, Tansania, Andalusien, Italien, Ungarn und die Türkei – von überall brachte der Künstler ein Herz voll Farben und Formen mit, die er daheim im Atelier noch lange belebte.
Hahs eckte an mit Bildern wie „Dummheit regiert“. Solche Titel sind von Zöhl nicht bekannt. Warum? Seine Bilder hatten eine andere Aufgabe. In ihnen stellte er nicht so sehr die vom Menschen gemachte Welt dar – eher ihre Anklänge. So als bliebe an allem ein Hauch der ersten Stunde haften.
Wenn es ernst wird in seinen Gemälden, entgeht es einem nicht. Kraft an sich ist nicht gut oder böse, erst ihre Übersteigerung vollzieht die Entscheidung. Insofern erfasst Zöhl stets die Bewegung von Kräften und nicht die Übersteigerung.
Ein Wort von Werner Zöhl: „Zu allen Zeiten hat die Kunst versucht, etwas aus dem Lebensgefühl transparent zu machen.“
Das, verehrte Damen und Herren, ist etwas anderes als seinen Standpunkt wiederzugeben! Und wäre es nicht oftmals realistischer, sich mit Kräften zu befassen, solange noch die Möglichkeiten zur Balance bestehen?

Auf der Wandzeitung können Sie sich diesmal mit den Worten des Künstlers auf seine Werke einstimmen. Die Bilder aus den Jahren 1951 bis 1979 etwa finden Sie ganz oben im Giebel.
Da hängt das „Kleine rote Traumpferd“. Entgegen der Farbperspektive bildet eine tiefdunkle Vorjahressonnenblume den Vordergrund. Sie ragt einfach noch ins Bild einer grünen Wiese mit ein paar Pusteblumen und einem jungen Bäumchen, das kaum auszutreiben wagt. Uns zugewandt steht, plastisch gut geformt, ein rotes Fohlen vor dem gelben Himmel – oder sollte ich sagen dem goldenen oder gar strahlenden? Begriffe verleiten, Bilder überzeugen!
1957 entstand „Träumende Pflanzen in einer Wasserlandschaft“. Da sucht die Fantasie in einer viel abstrakteren Welt ihre Erfahrungen festzumachen und bedient sich geometrisch exakt! auch in den Farbübergängen.
1966: „Parkbank im Schatten“. In diesem Bild erkennt man die Handschrift Zöhls sofort!
Sorgfältig komponiert teilt er das Bild in eine Licht und eine Schattenseite, spielt mit den Farben vorn und hinten, sodass der Betrachter wie in eine Drehtür gerät. Die Töne, die ihm strahlend entgegenkommen, führen ihn in den Hintergrund. Eigentlich vorne, im Schatten eines Baumes sitzt ein Paar – und erlebt man gleichzeitig eine bemerkenswerte Raumtiefe.

Im ersten Stock präsentieren sich einige vertraut erscheinende verspielte und erhabene Farbklänge. Zwei Gemälde, von denen ich erzähle, werden Sie etwas suchen müssen.
„Allein im Herbst“ ist von 1988. Es hätte auch „Die vier Jahreszeiten“ heißen können.
Es wirkt überraschend mitteilsam. Im unteren Teil des Bildes herrscht ein farbintensives florales Leben und gibt es manches zu entdecken. Drei fast kahle Bäume ragen filigran empor und drei Vögel kreisen über einer großen Menschengestalt, die alles durchdringt und vielleicht hält ihre rechte Hand den Samen für das nächste Jahr. Elemente von Zöhls grafischen Blättern tauchen in der Gestaltung auf. Als teilten sich Luftschichten vor dem Auge des Betrachters. Der Künstler nimmt sich die Freiheit, abstrakte, florale, freie und anatomische Formen zu kombinieren, opak und transparent zu arbeiten – ungeachtet der starken Kontraste – all das kündet bereits jenes Spätwerk an, das wir Ihnen hier besonders vorstellen möchten.
In „Kleines Tierparadies“ von 2006 vermeine ich gar eine Metamorphose des „Kleinen roten Traumpferdes“ zu erkennen, denn wieder steht dem Betrachter zugewandt ein junges Tier da, aber es ist nicht allein. Dunkle Vögel, wie häufiger zu finden, fliegen heran. Sie wirken als kämen sie heiter ans Ziel ihres Fluges.
Darf ich Sie anregen, einmal bei der Betrachtung der Werke darauf zu achten, welche Perspektive der Künstler einnahm, wo er meditative, vielleicht sogar durchscheinend wirkende Flächen schuf und was er damit in uns inspiriert?
Nehmen Sie sich die Zeit, hier an einem ruhigen Tag einmal in reiner Betrachtung zu versinken – da berichtet jemand, der der Schwelle stetig näherrückte und seine Botschaften bis zuletzt gemalt hat.
Nicht immer, aber häufig grenzen in seinen letzten Bildern Farbflächen nicht mehr überall nahtlos und mit sanften Übergängen aneinander. Es ist, als löse sich die Materie sacht an und ihr Gewebe verharrt nicht mehr durch Verknüpfungen.
Die lasierend aufgetragene Farbe weist deutlich den Pinselstrich auf, es wirkt durchlässiger denn je, manchmal sogar ein wenig grell. Die Dynamik der Farbflächen zueinander, die Komposition der großen Linien und der Mut zu ungewöhnlichen farblichen und formalen Kontrasten reizen und können mitreißen.

Mir war beim Anblick der späten Gemälde nicht, als begäbe sich jemand nach einem langen Künstlerleben zur Ruhe, sondern als bräche er gerade neu auf.
Mit diesem verheißungsvollen Impuls entlasse ich Sie freudig in die Ausstellung.

Kunstverein Fischerhude

in Buthmanns Hof e.V

Im Krummen Ort 2

28870 Fischerhude